Am 6. Februar 2017 veranstaltete der Ombudsman für die Wissenschaft erstmalig einen eintägigen Workshop mit dem Thema „Plagiatsnachverfolgung in Bibliotheken“, auf dem die Ursachen des bisher uneinheitlichen Umgangs mit (unter anderem aufgrund nachweislicher Plagiate) zurückgezogenen Dissertationen in Universitätsbibliotheken und der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) diskutiert wurden. Ziel des Workshops war es, im Kreis von Bibliotheks- und Rechtsexpertinnen und -experten mit gleichzeitigem Blick auf die Regeln und Ansprüche guter wissenschaftlicher Praxis mögliche Lösungsansätze für eine vereinheitlichte Kenntlichmachung von Plagiatsarbeiten zu erörtern.
Neben den Mitgliedern des Ombudsgremiums und der Ombudsman-Geschäftsstelle nahmen die folgenden Vertreterinnen und Vertreter des Bibliotheksbereichs am Workshop teil:
Prof. Dr. Andreas Degkwitz, Direktor der Universitätsbibliothek der HU, Berlin,
Dr. Beate Tröger, Direktorin der Universitäts- und Landesbibliothek Münster und Mitglied des Bundesvorstandes des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv),
Ass. iur. Hans-Peter Krieger, Justiziariat Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt a. M.,
Prof. Dr. Eric W. Steinhauer, Universitätsbibliothek Hagen und
Ass. iur. Armin Talke, Staatsbibliothek zu Berlin, Vorsitzender der Rechtskommission des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv).
Als Experte für Fragen des Urheberrechts wurde zudem
Prof. Dr. Alexander Peukert, Goethe-Universität Frankfurt a. M.
nach Berlin eingeladen. Ferner war die DFG-Geschäftsstelle vertreten durch
Dr. Johannes Fournier, Programmdirektor Gruppe Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme.
Die momentan sehr uneinheitliche Praxis von Bibliotheken in Deutschland im Umgang mit fehlerhaften Arbeiten, beispielsweise hinsichtlich einer Markierung und/oder der Zugänglichkeit der Werke, ist weder für betroffene plagiierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch für die Wissenschaftsgemeinde oder die Öffentlichkeit zufriedenstellend. Der Deutsche Bibliotheksverband e.V. (dbv) empfiehlt in einer Richtlinie [1] den Verbleib des betroffenen fehlerhaften Werks im Bestand, versehen mit einem Hinweis darauf, „dass das Werk ursprünglich als Dissertation angenommen worden ist, der Doktorgrad aber mittlerweile entzogen worden ist sowie das Datum der Entscheidung und Benennung des Gremiums, das die Entscheidung getroffen hat“. Diese Strategie, deren Empfehlung sich der Ombudsman anschließt, wird in Deutschland nicht von allen wissenschaftlichen Bibliotheken verfolgt. Manche Universitätsbibliotheken löschen fehlerhafte Arbeiten sowohl aus dem Bestand als auch aus dem Bibliothekskatalog [2], in anderen Fällen findet sich kein Hinweis auf den Entzug des Doktorgrads im online-Katalog der Bibliothek und die Werke sind weiterhin zugänglich – eine Situation, die Herrmann Horstkotte als „bibliographisches Durcheinander“ bezeichnet. [3]
Im Verlauf des Workshops wurde festgestellt, dass eine fehlende Kenntlichmachung unter anderem auch darauf zurückgeführt werden kann, dass Universitätsbibliotheken nicht regelmäßig über endgültige (bestands- bzw. rechtskräftige) Entziehungsentscheidungen von Fehlverhaltenskommissionen, beispielsweise durch die zuständigen Dekanate, informiert werden. Zudem sind nicht nur Bibliothekskataloge, sondern auch online verfügbare hochschuleigene Bestandsauflistungen von den derzeitigen Unregelmäßigkeiten betroffen.
Aus Sicht der GWP sollte mit fehlerhaften Werken (zumindest national) einheitlich umgegangen werden. Die Werke sollten weiter im Bestand und zugänglich bleiben, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie wissenschaftliche Erkenntnisse bzw. einen wissenschaftlichen Mehrwert enthalten. Ein Urteil über die fachliche Qualität kann nur innerhalb der entsprechenden Fachgemeinde bzw. durch die Öffentlichkeit gefällt werden. Gleichzeitig besteht seitens der Leserinnen und Leser ein berechtigtes hohes Interesse an der Information, dass das Werk fehlerhaft ist und nunmehr keine Qualifikationsarbeit mehr darstellt. Der Ombudsman hält hinsichtlich der GWP und im Sinne der Transparenz einen öffentlich sichtbaren Vermerk über den Entzug des akademischen Grades für angebracht. Ein derartiger öffentlicher und zeitlich unbefristeter Hinweis auf einen Betrug im Zusammenhang mit einer Qualifikationsarbeit könnte jedoch einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Autors bzw. der Autorin darstellen. Eine Möglichkeit der Lösung dieses Interessenkonflikts zwischen Autorinnen und Autoren (die sich nachweislich fehlverhalten haben) und der Öffentlichkeit (die ein berechtigtes Interesse an der Information hat, dass es sich um eine Plagiatsarbeit handelt) könnte in einer Anpassung des Hochschul- bzw. Wissenschaftsrechts bestehen. Hierbei muss zunächst geprüft werden, inwiefern die Forderung eines öffentlichen und im Internet weltweit zugänglichen Vermerks mit den notwendigen Anforderungen des Datenschutzrechts in Einklang zu bringen ist. Möglicherweise kann der internationale Vergleich im Umgang mit fehlerhaften Dissertationen, aber auch generell im Umgang mit fehlerhaften wissenschaftlichen Publikationen weitere Lösungsmöglichkeiten aufzeigen.
(Dieser Beitrag ist ein Schwerpunktkapitel des Jahresberichts 2017 des Ombudsman für die Wissenschaft, publiziert am 24.09.2018.)
[1] Plagiarismus: Eine Handreichung für Bibliotheken. Stellungnahme zum bibliothekarischen Umgang mit wissenschaftlichen Publikationen, die Plagiate enthalten, Deutscher Bibliotheksverband e.V. (26.06.2014)
[2] vgl. Krepke, J.: Was tun mit zurückgezogenen Dissertationen und Plagiaten?, in PROLibris (2016) 4/16, S. 60-61
[3] Horstkotte, H.: Beanstandete Dissertationen in Bibliotheken. Plagiate mit Zukunft, in DER TAGESSPIEGEL (14.08.2016); https://www.tagesspiegel.de/wissen/beanstandete-dissertationen-in-bibliotheken-plagiate-mit-zukunft/13995204.html
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